Lohngerechtigkeit und -gleichheit werden auch von HR Spezialisten immer wieder verwechselt. Die Differenzierung vor allem im unternehmerischen Kontext ist wichtig – nicht nur in Bezug auf die gesetzlichen Rahmenbedingungen.
Lohngleichheit: die gesetzliche Perspektive
Das Gesetz ist relativ klar formuliert: «gleiche Entlöhnung für gleiche oder gleichwertige Arbeit» und fordert damit für vergleichbare Tätigkeit Lohngleichheit zwischen Frau und Mann. Das Gesetz beschränkt sich jedoch auf die Gleichheit innerhalb eines Unternehmens. Im Gegensatz zur Lohngerechtigkeit, bei welcher das Empfinden der Entlöhnung gegenüber dem externen Markt ebenfalls zu einem gewissen Teil berücksichtigt werden muss.
Lohndifferenzen sind gemäss Rechtsprechung nur dann nichtdiskriminierend falls sich diese durch Ausbildung, Erfahrung oder zu einem geringeren Teil durch Leistung erklären lassen. Daneben besteht ein gesetzlicher Anspruch auf Rücksichtnahme auf besondere Gegebenheiten in der Funktion (z.B. Nachtarbeit) sowie in der Person (z.B. körperlicher Einschränkungen). Die Lohngleichheit basiert daher auf der Annahme, dass objektive Kriterien bestehen, welche den Lohn definieren resp. restlos erklären können. Nicht erklärbare Lohndifferenzen entsprechend daher einer Lohndiskriminierung.
Das zentrale Kriterium der «gleichwertigen Tätigkeit» wird dabei anhand (zumindest vermuteten) objektiven Anforderungen definiert, in der Regel mittels einer Arbeitsbewertungsmethode. Eine Arbeitsbewertung (auch Funktionsbewertung genannt) beurteilt die Funktionen anhand systematischer und oft sehr umfassender Raster. Es resultiert eine Einschätzung der Komplexität und dem Anforderungsprofil jeder Funktion, welche im betrieblichen Kontext verglichen werden können. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen folgert hierzu, dass auch ganz unterschiedliche Funktionen in einem Betrieb (z.B. ein Informatiker und ein Controller) unter Umständen gesetzlich gleich bezahlt werden müssen.
Lohngerechtigkeit: eine problematische Definition
Lohngerechtigkeit kann dagegen grundsätzlich als «gerechte (oder fair) empfundene Entlöhnung gegenüber einer Vergleichsgruppe» verstanden werden. Eine einheitliche Definition besteht jedoch bis heute nicht. Dies liegt daran, dass bereits die Grunddefinition des «gerechten» Handelns – gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln – lediglich formaler Natur ist. Ob zwei Situationen als zueinander gleich oder ungleich bewertet werden, hängt von den zugrunde gelegten Wertmassstäben ab. Der Gerechtigkeitsbegriff ist also stets ausfüllungsbedürftig.
Für die Lohngerechtigkeit werden in der Regel die folgenden teils auch entgegengesetzte Wertemassstäbe berücksichtigt:
- Sozialgerechtigkeit: fokussiert auf besondere Gegebenheiten in der Funktion (z.B. körperliche Belastungen, Nachtarbeit) sowie in der Person (z.B. körperliche Behinderungen, familiäre Belastung). Teilweise gesetzlich vorgegeben.
- Anforderungsgerechtigkeit: fokussiert auf den Schwierigkeitsgrad der Arbeit (d.h. Anforderungen an die Funktion). Ausgangspunkt ist eine definierte, erwartete Normalleistung. Wird oftmals mittels Funktionsbewertung ermittelt.
- Qualifikationsgerechtigkeit: fokussiert auf das theoretische Arbeitsvermögen eines Arbeitnehmenden (Honorierung des Potenzials, welches dem Unternehmen im Prinzip zur Verfügung steht). Fokussiert wird oft auf die Ausbildung.
- Leistungsgerechtigkeit: fokussiert auf die erbrachte Arbeitsleistung und das Leistungsverhalten des Arbeitnehmenden (z.B. Zielerreichung, Arbeitsverhalten, Sozialverhalten, Leistungsbewertung usw.).
- Marktgerechtigkeit: fokussiert auf den Preis der Funktion auf dem Arbeitsmarkt ausserhalb des Unternehmens (oftmals starker Fokus auf die Branche).
- Verteilungsgerechtigkeit: fokussiert auf die Anerkennung der Leistungsanstrengung jedes Arbeitnehmenden am betrieblich gemeinsamen geschaffenen Sozialprodukt / Wertschöpfung.
Lohngerechtigkeit ist schwieriger zu fassen und auch zu messen als Lohngleichheit.
Es ist hieraus offensichtlich, dass die Lohngerechtigkeit einerseits subjektive Aspekte auf Seiten des Mitarbeitenden enthält (z.B. individuelles Sozial- und Verteilungsverständnis) sowie andererseits die unternehmerische Perspektive berücksichtigt (z.B. Wertschöpfung oder den Marktwert). Das Zusammenspiel der Unternehmenskultur und dem Empfinden der Mitarbeitenden definiert hierzu schlussendlich die relevante Vergleichsgruppe. Ob schlussendlich innerhalb der Vergleichsgruppe ein Lohnunterschied als «gerecht» oder nicht wahrgenommen wird, hängt darüber hinaus davon ab, ob ein berücksichtigter Wertemassstab die Differenz rechtfertigt. So kann z.B. eine Fokussierung auf die Leistungsgerechtigkeit dazu führen, dass grössere Lohndifferenzen als fair empfunden werden. Da die Kriterien zur Wahrnehmung der Lohngerechtigkeit sehr individuell sind, ist eine Quantifizierung dieser schwieriger zu fassen und auch zu messen als die Lohngleichheit, welche rechtlich festgelegt ist.
Spannungsfeld zwischen Unternehmertum und Gesetz
Somit besteht ein offensichtliches Spannungsfeld unterschiedlicher Wertemassstäbe und Ausrichtungen in Bezug auf das Thema Lohngerechtigkeit aus Sicht der meisten Unternehmen und der Lohngleichheit aus der gesetzlichen Perspektive. Viele, insbesondere privatwirtschaftliche Unternehmen fokussieren stellten deutlich stärker Aspekte des Marktes, der Leistung und auch der Wertschöpfung (Verteilung) in den Vordergrund. Währenddessen fokussiert das Gesetz gemäss Formulierung und Rechtsprechung deutlich stärker auf die Anforderungs-, Qualifikations- sowie Sozialgerechtigkeit (im Sinne der Nichtbenachteiligung sowie der Berücksichtigung des Alters und bisher auch noch der familiären Situationen).
Typisches Spannungsfeld zwischen unternehmerischer und gesetzlicher Sichtweise auf Lohngerechtigkeit
Wenngleich beide Sichtweisen sich gut überschneiden, muss sich jedes Unternehmen bewusst sein, dass die unternehmerischen Interessen und das Empfinden der Mitarbeitenden sich nicht immer in allen Aspekten mit den Vorgaben des Gesetzgebers decken. Insbesondere ist jedoch die Erkenntnis wichtig, dass Lohngerechtigkeit vielschichtig ist und eine Empfindung ist. Jedes Unternehmen tut gut daran, für sich klar festzulegen, welche Kriterien (sprich Wertemassstäbe) es für die Lohnfestlegung heranzieht. Und fast noch zentraler ist, diese Kriterien in die Arbeitskultur und die Kommunikation gegenüber den Mitarbeitenden zu integrieren.